Scandal Victims

veröffentlicht am
Venerdì
18 marzo 2022

Powder Her Face
Powder Her Face

powder her face

Mit der Oper Powder Her Face bringt das Opernfestival Larger than Life der Stiftung Haydn eine bissige Gesellschaftssatire über die Doppelmoral der Gesellschaft und den Voyeurismus der Medien auf die Bühne. Im Mittelpunkt steht Margaret Campbell, die Duchess von Argyll, deren emanzipiertes und sexuell freizügiges Leben die gutbürgerliche Gesellschaft Großbritanniens der 60er Jahre erschütterte. Die Kammeroper zeigt das Schicksal einer emanzipierten Frau, die gegen Sitten und Tabus ihrer Zeit verstieß und dafür mit einem medialen Prozess konfrontiert wurde, der sie in den gesellschaftlichen und finanziellen Ruin trieb. Margaret Campbell war eine Frau von vielen, die aufgrund ihres Liebeslebens der Boulevardpresse zum Opfer fielen.

scandal victims

Frauen als Opfer medialer Schauprozesse

In Verlorene Illusionen beschreibt Honoré de Balzac das Aufblühen des Journalismus im Paris des 19. Jahrhunderts. Von jeglicher Zensur befreit, stürzte sich die Presse auf öffentliche Persönlichkeiten. Auf den Titelseiten wurden Stars geboren und Politiker gestürzt. Nicht selten gründeten die Meldungen auf Gerüchten und Teilwahrheiten. Als Erfinder der modernen Sensationspresse gilt der ungarisch-amerikanische Journalist Joseph Pulitzer. Auch er setzte auf Sensationsmeldungen, um seine Zeitung an den Mann zu bringen. Seine Erfolgsformel formulierte er folgendermaßen: „Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibt sie, macht sie vor aller Augen lächerlich. Und früher oder später wird die öffentliche Meinung sie hinwegfegen.“. Eine erschreckende Aussage, angesichts der fatalen Auswirkungen, welche die Sensationsgier der Medien für die Betroffenen haben kann. Es waren und sind vor allem Frauen, die von der Presse verurteilt werden, weil sie ihrer Rolle in der Gesellschaft und den Sitten ihrer Zeit nicht gerecht werden. Die folgenden 10 Porträts sind traurige Zeugnisse dieser medialen Frauenfeindlichkeit.

  1. Ruan Lingyu
  2. Billie Holiday
  3. Veronica Lake
  4. Jean Seberg
  5. Margaret Campbell
  6. Gloria Grahame
  7. Rita Hayworth
  8. Ingrid Bergman
  9. Caroline Flack
  10. Britney Spears

Social media

Ruan Lingyu1. Ruan Lingyu (1910 – 1935)

„Tratsch ist eine beängstigende Sache“

Die Geschichte der Stummfilmschauspielerin Ruan Lingyu ist ein besonders tragisches Beispiel der Macht der Medien. In ihrer Heimat China war sie ein Star und die westlichen Kritiker würdigten sie als „chinesische Greta Garbo“. Dennoch war sie nicht von der Sensationsgier der Medien gefeit. Die Presse stürzte sich auf ihr wechselhaftes Liebesleben zwischen Zhang Damin und dem Magnaten Tang Jishan. Die Gerüchte um ihr Privatleben wurden von den unkonventionellen Frauenbildern, die sie in ihren Filmen verkörperte, zusätzlich angeheizt. Der Druck der Gesellschaft, die noch stark von der Tradition bestimmt war, und der Presse trieben sie 1935 zum Selbstmord.  Kurz davor drehte sie den Film New Women, in dem sie die Schauspielerin Ai Xia spielte, die ebenfalls den Freitod wählte. Ruan Lingyu hinterließ mehrere Mitteilungen, eine davon lautete „Tratsch ist eine beängstigende Sache”.

Billie Holiday 2. Billie Holiday (1915 -1959)

Der Skandal als Waffe

Die Skandalpresse und die öffentliche Meinung können zur gefährlichen Waffe werden. Dies zeigt die Lebensgeschichte der US-amerikanischen Jazz-Sängerin Billie Holiday. Ihre schwierigen finanziellen Familienverhältnisse zwangen sie schon früh zur Prostitution. Nach einer kurzen Gefängnisstrafe arbeitete sie als Tänzerin in einem Club in Harlem. Dort wurde man auf ihre außergewöhnliche Stimme aufmerksam, die ihr eine aufstrebende Karriere bescherte. Das änderte sich schlagartig mit dem Song „Strange Fruit“ gegen Lynchmord und Rassismus, dem sie selbst permanent ausgesetzt war. Es folgte eine nationale Debatte um ihre Person, in der ihr Privatleben und ihre Vergangenheit, die von Alkohol- und Drogenmissbrauch geprägt war, ausgeschlachtet wurden. Die Presse und die rassistische Gesellschaft zogen ihr den Füßen unter den Boden weg.

Veronika Lake 3. Veronica Lake (1922-1973)

„The Bitch”

Das Karriereende der erfolgreichen Schauspielerin Veronica Lake bahnte sich schleichend an. Anfang der 40er Jahre begannen in den Filmstudios in Hollywood Gerüchte um ihr Privatleben zu zirkulieren. Mit dem Beinamen „The Bitch” behaftet, fiel sie bei der Gesellschaft in Ungnade.  Als neue Rollenangebote ausblieben, verließ sie Hollywood und stürzte sich in die Alkoholsucht.  1962 entdeckte sie die New York Post in einem Hotel in Manhattan, wo sie als Kellnerin arbeitete. Für kurze Zeit flammte das Interesse an ihrer Person wieder auf. Ihre Fans schickten ihr Geld, das sie jedoch mit den Worten „Es ist eine Frage der Würde“ ablehnte.

Jean Seberg4. Jean Seberg (1938-1979)

Die Presse zehrt an den Nerven

Wie eine öffentliche Person von der Presse und der Gesellschaft wahrgenommen wird, kann sich von Kultur zu Kultur stark unterscheiden. Das veranschaulicht das Schicksal der Schauspielerin Jean Seberg. In Frankreich war sie die Ikone des Nouvelle Vague und verkörperte eine moderne Auffassung der Weiblichkeit und der freien Liebe. In Nordamerika hingegen stieß sie mit ihrem Bild der hemmungslosen Europäerin auf Ablehnung. Dort bot man ihr lediglich, wie sie selbst sagte,  „pornographische“ Filme an. Fatal war ihre Beziehung zu der Bürgerrechtsbewegung Black Panthers, sie geriet in das Fadenkreuz des FBI (geleitet von Edgar Hoover). Die Presse verbreitete das Gerücht, sie sei nach einer außerehelichen Beziehung mit einem Mitglied der Black Panthers schwanger. Diese Anschuldigungen sowie die Überwachung durch das FBI wirkten sich auf ihre mentale Gesundheit aus. 1979 wurde ihr lebloser Körper neben einem Abschiedsbrief, in dem sie ihre psychische Verfassung als Grund des Selbstmord angab, aufgefunden.

Margaret Campbell7. Margaret Campbell (1912-1993)

Polaroids der Schande

Der Rotlicht-Skandal, der in den 60er Jahren die britische Gesellschaft erschütterte, ist ein treffendes Beispiel für den Voyeurismus der Medien. Im Mittelpunkt des Skandals stand Margaret Campbell, die Herzogin von Argyll. In einem aufsehenerregenden Scheidungsprozess beschuldigte ihr Ehemann sie des Ehebruchs, mit mehr als 80 Liebhabern. Als anzügliche Polaroids auftauchten, war die Boulevardpresse nicht mehr zu halten. Die Medien, die sie als „Dirty Duchess“ abstempelten, trieben sie in den finanziellen und gesellschaftlichen Ruin. Die gutbürgerliche Gesellschaft duldete ihr emanzipiertes sexuelles Verhalten nicht. Sie war eine unbequeme Persönlichkeit, die man am liebsten unter den Teppich gekehrt hätte.

Gloria Graheme6. Gloria Grahame (1923-1981)

Ein Oscar ist nicht genug

Dass nicht nur extrovertierte Persönlichkeiten ins Kreuzfeuer der Öffentlichkeit geraten, zeigt das Beispiel der Schauspielerin und Sängerin Gloria Grahame. 1953, mit nur 29 Jahren, wurde ihre glänzende Karriere mit einem Oscar und einem Golden Globe als beste Nebendarstellerin für den Film „The Bad and the Beautiful“ gekrönt. Ihre Schüchternheit (ihre knappe Siegesrede bei der Oscarverleihung ist berühmt: „Thank you very much“) wurde von der Presse misstrauisch begutachtet, was sich auch in den Rollenangeboten niederschlug. Ausschlag für ihr Karriereaus gab der Prozess für das Sorgerecht ihrer Tochter Marianna Paulette mit ihrem zweiten Ehemann, Cy Howard. Sie ließ sich von ihm scheiden, um den Sohn ihres ersten Ehemanns, Tony Ray, ihren Stiefsohn, zu heiraten. Ein Tabu, das Gloria Grahame zur Ausgestoßenen machte.

Rita Hayward7. Rita Hayworth (1918-1987)

Umstrittene Hochzeit

Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs heiratete die Schauspielerin Rita Hayworth den pakistanischen Prinzen Aly Khan. Die Heirat mit dem ismailitischen Fürsten, die noch während des laufenden Scheidungsverfahrens mit ihrem ersten Ehemann gefeiert wurde, löste eine heftige Debatte aus. Sogar Papst Pius XII. mischte sich ein. Er missbilligte öffentlich die Heirat und schloss sie aus der Kirche aus. Die Ehe zwischen der Schauspielerin und dem Prinzen stand bis zu ihrer Scheidung im Jahr 1953 im Mittelpunkt des Medieninteresses. Später wurde die Schauspielerin in Hollywood rehabilitiert, doch sie erhielt nur noch Angebote für Rollen als Straßenmädchen und Ausgestoßene.

Ingrid Bergmann8. Ingrid Bergman (1915-1982)

Umstrittene Hochzeit

Ähnlich wie Rita Hayworth erging es Ingrid Bergman nach ihrer Heirat mit dem Regisseur Roberto Rossellini. Das Bild der „leidenschaftlichen Männerliebhaberin“ passte so gar nicht zur „kalten“ Schwedin. Ihre Ehe und ihr Privatleben prägten lange Zeit die Titelseiten der Klatschzeitungen und auch ihre Schauspiel-Karriere. Mit ihrer Darbietung der Prinzessin Anastacia, für die sie ihren zweiten Oscar erhielt, konnte sie ihren guten Ruf wiederherstellen. Bergman, die es leid war, wie Hollywood sie behandelte, weigerte sich jedoch den Preis anzunehmen: „In nur einem Leben bin ich von der Heiligen zur Hure und wieder zur Heiligen gemacht worden“, begründete sie.

Caroline Flack9. Caroline Flack (1979-2020)

Was haben wir getan?

Dass Medien Menschen in die Höhe heben als auch brechen können, zeigt die tragische Geschichte der britischen Fernsehmoderatorin Caroline Flack. Sie wurde zum Opfer einer medialen Hetzjagd, als ihr Ehemann Lewis Burton sie wegen Körperverletzung anzeigte. Ihre früheren Beziehungen mit teilweise sehr viel jüngeren Männern schürten den Hass im Netz zusätzlich. Am Valentinstag des Jahres 2020 nahm sich Caroline Flack das Leben. Diese radikale Verzweiflungstat rief die Medien zur Besinnung. Aus Schuld- oder Schamgefühlen begannen sie die reißerischen Artikel aus dem Netz zu nehmen.

Britney Spears10. Britney Spears

#WeAreSorryBritney

Der Dokumentarfilm „Framing Britney“ zeigt eindrücklich auf, wie die Medien das Bild einer Person prägen können. Jahrelang sezierte die Presse das private und berufliche Leben der amerikanischen Popsängerin Britney Spears. Immer wieder stand sie im Mittelpunkt von Skandalen und wurde als „Sexsymbol“, „Ehebrecherin“ und „Verrückte“ dargestellt. Ein klares Beispiel von medialer Frauenfeindlichkeit. Diese misogyne Berichterstattung führte dazu, dass sie ihrer Rechte und ihres Vermögens beraubt und ihre psychische Gesundheit angezweifelt wurden. Am Ende eines monatelangen Prozesses hob das Gericht die 13 Jahre andauernde Vormundschaft durch ihren Vater auf. Im Zuge dessen baten Medien und Prominente unter dem Hashtag #WeAreSorryBritney bei der Sängerin für jahrelange Misshandlung und Ausbeutung um Entschuldigung.

Social MediaSocial Media

Die Redefreiheit ist ein enorm wichtiger Bestandteil jeder Demokratie. Doch was sich in den letzten Jahren in den sozialen Netzwerken abspielt, entspricht  nicht den Grundzügen einer solidarischen Gesellschaft. Hassrede, Cyber-Mobbing und Body-Shaming bestimmen die Umgangsformen im Netz. Wesentliche Faktoren, die diese Phänomene begünstigen, sind die Gruppendynamik und die Anonymität im Netz, welche die Hemmschwelle senken. Nicht nur Stars, sondern jeder der auf den sozialen Medien aktiv ist, kann zum Opfer (und auch zum Täter) werden. Ein Phänomen, das vor allem Frauen betrifft, ist das sogenannte „Slutshaming“. Dabei werden Frauen, deren Verhalten und Erscheinungsbild in Bezug auf Sexualität den gesellschaftlichen Anforderungen nicht entsprechen, beschimpft und beleidigt.

Konzept und Text von Oscar Bottes

Unter Mitwirkung von Serena di Stefano

Ein besonderen Dank an Waaghaus

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