Brücken bauen

veröffentlicht am
Giovedì
1 febbraio 2024

Monica Loss
Monica Loss

Generaldirektorin Monica Loss im Gespräch

„Kultur hat eine gesellschaftliche Aufgabe.“ Davon ist Generaldirektorin Monica Loss überzeugt. Im Interview spricht sie über ihre Visionen für die Stiftung Haydn und wie Kultur auf unkonventionellem und innovativem Wege Menschen erreichen und bestenfalls Brücken bauen kann.

Frau Loss, Sie sind seit Januar 2022 Generaldirektorin der Stiftung HAYDN. Wie blicken Sie auf die bisherige Zeit zurück?

Es waren zwei sehr intensive und emotionale Jahre. Die Stiftung ist ein sehr dynamischer Betrieb – das ist äußerst positiv, aber auch herausfordernd. Ich hatte die Möglichkeit mit der vorigen Direktorin Valeria Told noch eine Zeit lang zusammenzuarbeiten – dadurch habe ich einen umfangreichen Einblick in die Arbeit und den Betrieb bekommen. Außerdem habe ich das Glück, in einem großen, wunderbaren Team zu arbeiten. Mit dem Orchester und der gesamten Verwaltung sind wir immerhin über 65 Personen, die jährlich über 200 Veranstaltungen in den Bereichen Konzert, Oper und Tanz auf die Beine stellen.

Wie wichtig ist die Interaktion innerhalb dieses Teams, damit die doch sehr umfangreiche Organisation funktionieren kann? Und wie greifen die unterschiedlichen Bereiche – Administration und Orchester – ineinander?

Die Interaktion ist sehr wichtig. Die einzelnen Mitarbeiter:innen sind sehr engagiert und setzen sich intensiv mit der Arbeit auseinander. Sie sehen sich selbst als Teil der Stiftung und identifizieren sich mit ihren Werten, der Mission und Philosophie. Das bringt Motivation und Zufriedenheit mit sich.
Die Orchestermusikerinnen und -musiker haben die künstlerische Arbeit inne und leben in einer Art „kreativem Spiel“ – in den Büros passiert die umfangreiche und vielfältige Hintergrundarbeit. Beides ist wichtig. Man muss darauf achten, dass alle immer gemeinsam auf dem Weg sind und eine gewisse Nähe herrscht. Damit das gelingt, versuchen wir, ein paar Mal im Jahr zusammenzukommen. Wir alle haben schließlich das Ziel, dass das Publikum zufrieden eine Vorstellung verlässt. Dieses – ich nenne es jetzt mal – „Mannschaftsgefühl“ hilft zudem dabei, schwierige und arbeitsintensive Situationen zu meistern und sich gemeinsam weiterzuentwickeln. Das ist eine der großen Stärken der Stiftung Haydn.

Wo sehen Sie sonst noch Stärken?

Brücken bauen, über die Kultur Inklusionsarbeit zu schaffen sowie dazu beitragen, sprachliche und kulturelle Barrieren zu beseitigen und den Zugang zur Musik und zur Kultur allen zu ermöglichen – das sind mit Sicherheit große Stärken unserer Kulturorganisation.

Welches Hauptziel verfolgen Sie als Generaldirektorin ganz konkret?

Mein Hauptanliegen ist, dass die Stiftung als eine der wichtigsten Kulturinstitutionen unserer Region und auch darüber hinaus wahrgenommen wird. Das Haydn Orchester gilt als eines der wichtigsten Orchester Italiens – auch unsere Opernproduktionen und natürlich das Festival Bolzano Danza haben dazu beigetragen, dass die Stiftung in den vergangenen Jahren sehr viel Sichtbarkeit erlangt und ein neues Publikum erreicht hat. Haydn soll weiterhin Akteur der regionalen Kulturpolitik sein.

„Die Leute müssen neugierig werden.“

Wie kann das Kulturprogramm der Stiftung Haydn noch mehr Menschen erreichen?

Wir versuchen zum einen zu verstehen, wo die Bedürfnisse des Publikums liegen, zum anderen – und das ist ein weiteres Ziel, auf das wir hinarbeiten – mit welchem kulturellen Angebot wir neue Anreize schaffen können, um auch neue Publikumsschichten zu erreichen. Wir müssen auf das Publikum zugehen – nicht umgekehrt. Das bedeutet auch, die eigene Komfortzone zu verlassen und z. B. das Orchester an ungewöhnlichen Orten auftreten zu lassen und das Konzerthaus zu verlassen. Wir öffnen uns und machen auf uns aufmerksam.

Können Sie Beispiele nennen?

Wir suchen nach neuen, spielerischen Wegen, um klassische Musik, Opern und Musiktheater für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen. Klassische Musik vermitteln wir beispielsweise in Form von musikalischen Theater oder Filmkonzerten. Das im letzten Jahr gestartete Familienprogramm, bei dem auch Angebote für die ganz Kleinen dabei sind, wurde sehr gut angenommen. 2024 bringen wir u. a. einen animierten Stummfilm mit live gespielter Orchestermusik, bei dem der Krieg durch Kinderaugen thematisiert wird, auf die Bühne. Somit greifen wir auch aktuelle und sozialpolitische Themen auf. Wir gehen an Schulen oder wählen völlig unkonventionelle Spielorte aus, wie z. B. bei „Vaia“ (Anmerkung: Damals spielte das Haydn Orchester bei einer musikalischen Wanderung im Eggental und im Holzbaubetrieb LignoAlp). Wir versuchen uns an den Erfahrungen und Emotionen der Menschen zu orientieren und wählen Stücke aus, die unsere Visionen und Werte, wie z. B. Tradition und Moderne, Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Inklusion sowie Innovation widerspiegeln. Wir haben 2023 schon sehr viel in diese Richtung unternommen, gerade im Zuge des Projektes „Kultur bauen“.

„Klassische Musik kann auch innovativ sein“

Digitalisierung und Innovation: Wie arbeitet Haydn an diesen Punkten?

Ein wichtiges Projekt der Stiftung ist die laufende und umfassende Digitalisierung unseres Kulturerbes. Wir haben damit zum Teil schon 2023 mit ausgewählten Programmen begonnen, und jetzt sind wir dabei, den gesamten Orchesterbereich zu digitalisieren. Dabei werden Hörproben aus den vergangenen 60 Jahren gescannt und digitalisiert und in unsere Haydn Library abgelegt, wo sie online nachgehört werden können. Das ist ein langwieriger Prozess, der aber wichtig ist, um das musikalische Erbe der Stiftung auch an jüngere Menschen weiterzugeben. Zudem gab es bereits technologisch innovative Experimente, gerade um auf die Sinfonik aufmerksam zu machen, wie z. B. das virtuelle Dirigentenpodium des Projektes HAYDN VR Experience. Viele unserer Ideen werden von einem Netzwerk mehrerer Institutionen getragen und profitieren auch vom multidisziplinären, intersektoralen Arbeiten.
Innovativ ist die Stiftung sicherlich auch im Bereich der Qualitätskontrolle: Um weiterhin an der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit zu feilen und diese zu gewährleisten, arbeiten wir mit verschiedenen Forschungseinrichtungen zusammen, darunter die der Universitäten von Bozen und Mailand. Ihre Studien und Analysen sollen dazu beitragen, unser kulturelles Programm noch ökonomischer, nachhaltiger und inklusiver zu gestalten.

Zur Person:

Monica Loss wurde in Trient geboren. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und Betriebswirtschaft und machte ihren Master im Management von Sozial- und Non-Profit-Unternehmen. Sie  arbeitete 20 Jahre lang in leitenden Positionen gemeinnütziger Organisationen verschiedener Bereiche. 2015 kam sie als Verwaltungsdirektorin zur Haydn Stiftung, wo sie ihr Interesse für die Kultur zum Beruf machte. Seit Januar 2022 ist sie Generaldirektorin und seit Dezember 2023 außerdem Vizedirektorin der ATIT (Vereinigung der italienischen Traditionstheater).

Sarah Meraner