Das Haydn Orchester in den Werken Othmar Winklers

veröffentlicht am
Venerdì
14 ottobre 2022

Winkler
Winkler
Winkler quadrato
Winkler quadrato

Das Werk des in Bruneck geborenen sozialkritischen Künstlers Othmar Winkler (19071999) ist von kaum überschaubarem Umfang und berührt eine Vielzahl verschiedener Themen. Es ist ein derart gewaltiges und facettenreiches Erbe, dass sich bisher noch niemand an eine umfassende Aufarbeitung herangewagt hat. Vielmehr boten die Ausstellungen, Kataloge und Bücher, die sich bisher mit dem Südtiroler Bildhauer, Maler und Grafiker beschäftigten, jeweils nur eine partielle, auf einzelne Themen bezogene Interpretation. Überhaupt scheint es, als erlaube uns nur eine themenspezifische Lesart von Winklers Schaffen, seine Werke besser zu verstehen und angemessen zu schätzen, schließlich sind einige Aspekte davon weiterhin wenig oder gar nicht erforscht. Ein solcher Bereich ist die Musik, für die der Künstler eine große Leidenschaft besaß und die ihn zu etwa 60 Skulpturen (dazu zählen auch Entwürfe und Künstlerproben) und über 400 Zeichnungen inspirierte. Sowohl in den plastischen als auch in den grafischen Werken wird die Tonkunst auf vielfältige Weise, außergewöhnlich kreativ und mit der unverwechselbaren Handschrift, die die Werke von Othmar Winkler auszeichnet, dargestellt.

3 GRAFISCHE ZYKLEN

Lediglich ein Bruchteil dieser Werke wurde untersucht, darunter drei grafische Zyklen, die während drei Beethoven-Konzerten des Haydn Orchesters in den Jahren 1970 und 1971 entstanden. Insgesamt sind es etwa fünfzig Zeichnungen, die der Künstler während der Konzertauftritte anfertigte. Neben der Angewohnheit Winklers, jedes Blatt einzeln zu datieren, war es die Einheitlichkeit des Themas, die eine Untersuchung und eindeutige Zuordnung der Werke ermöglichte.

NR. 1

Die erste Bilderserie hält fest, wie der Künstler die Messe in C-Dur, Opus 86 erlebte, die am 7. November 1970 in der Kirche S. Maria Maggiore in Trient aufgeführt wurde. Sie zeigt den Dirigenten Paul Angerer, damals Opernchef in Salzburg und Gastdirigent in der Region Trentino-Südtirol in den Jahren 1970 und 1971. In der letzten Zeichnung des Zyklus „Messe in C-Dur“ wird Angerer mit Umhang dargestellt, das Kleidungsstück, das zu seinem Markenzeichen wurde.

Nr. 2

Der zweite Zyklus bezieht sich auf ein Konzert, dessen Programm sich ausschließlich aus Werken Beethovens zusammensetzte. Doch in diesem Fall stimmte das Datum auf den Zeichnungen (5. Januar 1971) nicht mit dem Spielplan des Orchesters überein. Besonders interessant daran ist aber, dass sich ein Teil der Porträts dank der Aussagen einiger damaliger Orchestermitglieder identifizieren ließ. So wissen wir heute mit Sicherheit, dass es sich wirklich um das Haydn Orchester handelt. Inhaltlich sind die Zeichnungen höchst originell, da der Künstler, anstatt sich auf den Dirigenten oder das Orchester als Gesamtheit zu konzentrieren, einzelne Musiker porträtierte und ihnen dadurch eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich große Aufmerksamkeit zukommen ließ, wenn man bedenkt, dass Orchestermitglieder damals weitgehend anonym waren und nicht einmal namentlich im Saalprogramm aufgeführt wurden.

Nr. 3

Die konzertante Aufführung der Oper „Fidelio“ (am Teatro Sociale in Trient am 21. Januar 1971) war Gegenstand des dritten Zyklus, in dem der Dirigent Herbert Albert sowie verschiedene Sänger und Instrumentalisten porträtiert wurden: der Kontrabassist Mario Postinghel, Liselotte Becker-Egner (Marzelline), Herbert Schachtschneider (Florestan), Georg Schnapka (Rocco, der Kerkermeister), George Fourié (Don Pizzarro – hier ist die Zuordnung nicht eindeutig erwiesen), Friedrich Lenz (Jaquino – Zuordnung unsicher, doch andere Personen wurden ausgeschlossen und einige Merkmale der Ganzkörperabbildung haben Ähnlichkeit mit Lenz). Im Winter 2010/2011, zum 50-jährigen Gründungsjubiläum des Haydn Orchesters, wurde dieses grafische Werk erstmals in einer Ausstellung gewürdigt und konnte danach bis ins Jahr 2020 im Bozener Konzerthaus besichtigt werden. Die Zeichnungen – damals im Besitz von Dr. Ivo Winkler, Sohn des Künstlers und Kurator des Winkler-Archivs – wurden später von der Stiftung Haydn erworben. Einige Blätter schmückten in der Folge die Cover verschiedener CD-Aufnahmen des Regionalorchesters.

 

DIE FIGUR DES MUSIKERS IN WINKLERS ZEICHNUNGEN

Neben den drei Zyklen sind zusätzlich drei Zeichnungen aufgetaucht, die mit 29. Januar 1971 datiert sind, und ein Entwurf, auf dem einfach nur „1971“ vermerkt ist. Aufgrund des verwendeten Papiers, der Figuren und der Einordnung im Winkler-Archiv ist auch hierbei davon auszugehen, dass es sich um Musiker des Haydn Orchesters handelt. Die drei Zeichnungen – ausgeführt mit festem Strich und großer Liebe zum Detail – beweisen das herausragende Einfühlvermögen und die darstellerische Lebendigkeit des Künstlers. Sie zeigen einen Cellisten im seitlichen Profil, der den Cellokasten wie einen Rucksack trägt, denselben Musiker von hinten, wodurch das Cello beinahe menschliche Züge annimmt, und die Vorderansicht eines Kontrabassisten. Diese letzte Zeichnung wurde mit sehr viel größerer Detailtreue angefertigt, verglichen mit den drei anderen Zyklen, deren Entstehung zwangsläufig eiliger und weniger genau war, weil sie schließlich während der Konzerte zu Papier gebracht wurden.

TEXT Daniele Valersi / ÜBERSETZUNG Claudia Amor