Die weibliche Note

veröffentlicht am
Venerdì
29 marzo 2024

Anna kravtchenko
Anna kravtchenko 1x1

Frauen in der zeitgenössischen klassischen Musik

Die Präsenz und Einflussnahme von Frauen in der zeitgenössischen klassischen Musik erlebt – endlich! – eine Renaissance. Historisch gesehen wurden Frauen, wie in so vielen Bereichen, oft übersehen oder marginalisiert. Doch heute durchbrechen sie auch in der Musik Barrieren und hinterlassen ihre markante künstlerische und kulturelle Spur. Von der Komposition bis zur Interpretation tragen Frauen maßgeblich zur Vielfalt und Innovation in der klassischen Musik bei, und ihr Schaffen bereichert das künstlerische Panorama auf eindrucksvolle Weise.

Viel Luft nach oben

2023 waren 22 der 200 meistgespielten Komponist:innen Frauen – immerhin um einiges mehr als noch vor zehn Jahren, als es nur zwei waren. Bei den Dirigentinnen sieht es ähnlich aus: Auch wenn es sehr viele erfahrene Frauen in diesem Beruf gibt, konnte die Onlineplattform bachtrack.com von 102 Orchestern weltweit nur sieben Chefdirigentinnen ermitteln. Die restlichen Plätze sind nach wie vor männlich besetzt. Es ist also auch in der Klassik noch sehr viel Luft nach oben. Umso wichtiger, jenen Frauen Sichtbarkeit zu verschaffen, die sich in der Szene bereits einen Namen gemacht haben – denn sie fungieren als Vorbilder für junge, aufstrebende Künstlerinnen. So wie Pianistin Anna Kravtchenko.

„Ich hatte oft Schwierigkeiten, als Musikerin ernst genommen zu werden.“

Kravtchenkos internationale Karriere begann bereits 1992, als sie mit 16 Jahren den Wettbewerb „Ferruccio Busoni“ gewonnen hatte. „Es war sehr aufregend für mich, dass mein Talent international anerkannt wurde – es gab mir Bestätigung für mein Engagement und Selbstvertrauen für meinen musikalischen Weg. Ich wusste aber auch, dass ich weiter hart arbeiten und mich ständig verbessern musste, um das in der Welt der klassischen Musik geforderte hohe Niveau zu halten und zu übertreffen“, erzählt die Kravtchenko, die schon für viele Konzerthäuser innerhalb und außerhalb Europas spielte und heute als Klavierprofessorin am „Conservatorio della Svizzera Italiana“ in Lugano arbeitet. Dass sie als Frau dabei zusätzliche Herausforderungen spürte, spricht sie offen aus. „Ich hatte oft mit Geschlechterstereotypen und Vorurteilen zu kämpfen und Schwierigkeiten, als Musikerin ernst genommen zu werden. Immer wieder musste ich mein Können und meine Hingabe unter Beweis stellen.“ Aufgehalten haben sie diese Herausforderungen jedoch nicht, sagt sie rückblickend. Sie konzentrierte sich weiterhin auf die Verbesserung ihrer Fähigkeiten und musikalischer Leistung. Das ist auch ein Ratschlag, den sie heute jungen Frauen in der klassischen Musikbranche mitgibt: „Ich sage es mit dem Sapere aude, dass sie weniger an überflüssige und äußere Dinge denken sollen, sondern einfach die Musik ganz und gar lieben und sich ihr vorbehaltlos widmen sollen.“

Mehr als nur Gäste

Timo Varelmann, Referent für Statistik an der MIZ (Deutsches Musikinformationszentrum), weiß, dass in höheren Orchesterpositionen, wie Konzertmeister- und Solopositionen oder der Stimmführung, der Frauenanteil unter 30 Prozent liegt. Weil die höheren Posten auch besser bezahlt werden, gibt es somit auch in der klassischen Musik einen Gender Pay Gap.  Die Unterreprästentation in Führungspositionen bestätigt auch Kravchenko: „Es gibt nach wie vor deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf die Repräsentation und die Möglichkeiten: Frauen sind weniger oft in Führungspositionen vertreten und zudem häufig stereotypischem Denken und Diskriminierung ausgesetzt.“ Frauen benötigen also mehr als nur Einladungen in Orchestern – denn nur, weil sie einmal im Jahr z. B. als Gastdirigentinnen da sind, bedeutet das bei Weitem noch keine Gleichstellung.

Ganz pessimistisch ist Anna Kravtchenko, die von der niederländischen Zeitung Het Parool als „das Wunder der Klaviatur“ bezeichnet wurde, jedoch nicht: „Ich stelle fest, dass der klassische Musiksektor Fortschritte macht: In den letzten Jahren sind immerhin ein paar Frauen als Führungspersönlichkeiten und Innovatorinnen im Bereich der klassischen Musik in Erscheinung getreten und haben ihr Talent und ihr Fachwissen unter Beweis gestellt, unter anderem als Dirigentinnen, Komponistinnen und Solistinnen.“ Trotzdem gäbe es aber noch viele Herausforderungen, sagt sie. Es sei wichtig, Vielfalt und Integration innerhalb der Branche weiter zu fördern und die Chancengleichheit für alle musikalischen Talente zu gewährleisten, unabhängig vom Geschlecht.

Sarah Meraner

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