Erfinder neuer Klangwelten
veröffentlicht am
Giovedì
3 ottobre 2024
Zwischen Hommagen und Ausdrucksformen
Bereits im Laufe seiner Karriere galt Berio als eine der bestimmenden Persönlichkeiten der neuen Musik. Er war dafür bekannt, die Musik anderer zu adaptieren und zu verwandeln – Berio komponierte aber auch eigene Werke, die als Meilensteine der neueren Musikgeschichte gelten.
Luciano Berio wurde als Nachfahre von Musikern und als Sohn eines fanatischen Duce-Anhängers am 24. Oktober 1925 in Oneglia geboren. Berio selbst war Antifaschist – er konnte Mussolini nicht verzeihen, dass er den Menschen die wichtigsten Komponisten unterschlägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Berio ein Studium am Mailänder Konservatorium. Schon früh interessierte er sich für neue musikalische Ausdrucksformen und kam in Kontakt mit den Arbeiten der zweiten Wiener Schule, wie etwa Schönberg und Webern.
Grenzen überschreiten
1952 reiste Berio in die USA, um bei Luigi Dallapiccola zu studieren. Dort lernte er serielle Techniken kennen, die ihn nachhaltig beeinflussten, und nahm am ersten öffentlichen Konzert der USA mit elektronischer Musik teil. Infolgedessen begann er, sich für die Möglichkeiten dieses Genres zu interessieren, was in seiner späteren Arbeit von zentraler Bedeutung werden sollte.
1955 gründete Berio zusammen mit dem italienischen Komponisten Bruno Maderna in Mailand das „Studio di Fonologia Musicale“ bei der RAI, eines der ersten Studios für elektronische Musik in Europa. Dort experimentierte er mit Klangmanipulationen, Tonbandaufnahmen und elektronischen Gerätschaften. Das Studio ermöglichte ihm, Grenzen zu überschreiten und völlig neue Klangwelten zu schaffen. Ein berühmtes Beispiel dafür war sein Werk „Thema (Omaggio a Joyce)“ (1958), in dem er Sprachaufnahmen der Sängerin Cathy Berberian, die auch seine erste Ehefrau war, elektronisch verfremdete und in eine dichte Klangtextur einarbeitete.
Die Stimme als Instrument
Cathy Berberian war Berio gleichzeitig Muse und Interpretin: Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten als Sängerin inspirierten ihn zu einer Reihe von vokalen Werken, die das expressive Potential der menschlichen Stimme erkundeten. Das vielleicht berühmteste Werk ist „Sequenza III“ (1965), in dem der Komponist die Stimme auf unkonventionelle Weise einsetzte: Er spielte mit Klängen, Atemgeräuschen und Sprachfragmenten.
In vielen seiner Werke zeigte Berio eine tiefe Faszination für Sprache und Literatur. Dies wurde besonders in seiner Komposition „Sinfonia*“ (1968) deutlich: Darin verwebte er literarische Zitate (unter anderem von Samuel Beckett und James Joyce) mit musikalischen Bezügen und Zitaten aus der Musikgeschichte, um so eine komplexe Klangcollage zu schaffen. Die Stimmen agierten dabei nicht nur als Vokalisten, sondern als eigenständige Erzähler.
Späte Werke und musikalisches Erbe
„Corale“ (1981), „Rendering“ (1989–1990) und „Stanze“ (2003): In seinen späteren Jahren setzte Berio seinen innovativen Ansatz fort und blieb zentraler Akteur in der zeitgenössischen Musikszene. „Rendering“ ist dabei besonders faszinierend: Es basiert auf Fragmenten eines unvollendeten Sinfonie-Entwurfs von Franz Schubert, den Berio orchestrierte und mit eigenen musikalischen Ideen ergänzte. Berio leget zudem einige Hits der Beatles in Bearbeitungen vor und orchestrierte einen bunten Strauß an Volksliedern verschiedener Nationen.
Ab den 1960er-Jahren unterrichtete Berio an verschiedenen Institutionen in Amerika, 1972 kehrte er nach Europa zurück. Hier arbeitete er als Dirigent und künstlerischer Leiter in unterschiedlichen Häusern, 1987 gründete er das Zentrum für Live-Elektronik Tempo Reale in Florenz und erhielt mehrere Preise und Ehrendoktorate in Europa – und darüber hinaus.
Trotz seines Erfolges blieb Luciano Berio ein bodenständiger Mann: Für Komponisten, die dachten, sie seien „Sprachröhre des Universums und der Menschheit“, hatte er wenig Verständnis. „Ich denke, es genügt, wenn wir uns bemühen, verantwortungsvolle Kinder der Gesellschaft zu werden.“
Luciano Berio starb am 27. Mai 2003 in Rom.