Kollision der Welten
veröffentlicht am
Venerdì
8 novembre 2024
Zwei Werke, die nur wenige Jahre nacheinander entstanden, aber mit völlig konträren Ansätzen in Hinblick auf die musikalische Sprache, die Art der Vokalität, die Sprache der Texte und des eingesetzten Orchesterkörpers: auf der einen Seite Pierrot lunaire (1912) von Schönberg für Stimme und fünf Instrumentalisten, eingebettet in die visionäre Atmosphäre der Avantgarde und des Expressionismus. Unverwechselbar im Charakter durch den Sprechgesang, eine Art stimmliche Lautäußerung zwischen Sprechen und Singen, dazu ein Paradebeispiel für die atonale Phase des Komponisten (der wenige Jahre später die Zwölftontechnik entdecken wird), sprich ein Wendepunkt in der Geschichte der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, wie Strawinskys Sacre du printemps (1913).
Auf der anderen Seite Gianni Schicchi (1918), Puccinis letztes Werk, eine bissige komische Oper in einem Akt, mit der sich der Kreis seines dramatischen Triptychons schließt: ein Musiktheaterstück von nahezu formvollendeter Perfektion, das in gewisser Weise als krönenden Abschluss noch einmal das gesamte Können seines Schöpfers – eines bedeutenden Erben der italienischen Melodram- und Operntradition – in sich vereint.
Mit anderen Worten, zwei Komponisten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, was ihre kulturellen Wurzeln und die musikalische Poetik betrifft, und die sich doch sehr ähneln in ihrer Neugier auf das, was in der Welt der Musik geschieht. Gerade Schönberg bewunderte Puccini zutiefst, er sah in ihm einen der Erneuerer der harmonischen Sprache des 20. Jahrhunderts und zitierte ihn sogar in seiner Harmonielehre aus dem Jahr 1911, genauer gesagt im Kapitel über die Quartakkorde. Die beiden begegneten sich auch persönlich, in Florenz: Am 1. April 1924 fand im Palazzo Pitti das Festival della Società Internazionale di Musica Contemporanea (Festival der internationalen Gesellschaft für zeitgenössische Kunst) statt, und auf dem Programm stand als besonderer Clou eben die Aufführung Pierrot lunaire unter Leitung von Schönberg selbst. Unter den Zuschauern saß auch Puccini, dem Schönberg eine Kopie der Partitur als Geschenk per Post hatte zukommen lassen.
„Was für eine Freude, den großen Puccini zu sehen“, schrieb Schönberg in einem Brief, geschmeichelt davon, den italienischen Komponisten im Publikum mit seiner Partitur in den Händen gesehen zu haben. Und andernorts, sich an die Kritiken dieses Konzertes erinnernd: „Ich vermute, dass es die Sachverständigen waren, die meinen Pierrot lunaire so unfreundlich aufnahmen, als ich ihn in Italien aufführte, nicht aber die Kunstfreunde. Ich hatte zwar die Ehre, dass Puccini, kein Sachverständiger, sondern ein Sachkönner, der bereits krank, eine sechsstündige Reise machte, um mein Werk kennenzulernen, und mir nachher sehr Freundliches sagte: das war schön, auch wenn ihm meine Musik doch fremd geblieben sein sollte.“
Puccini seinerseits war in der Tat irritiert, weil die Musik in seiner Denkweise untrennbar mit dem tonalen System verbunden war, dennoch war er der Arbeit des Kollegen gegenüber durchaus aufgeschlossen: „Wer sagt, dass Schönberg nicht der Ausgangspunkt eines weit in der Zukunft liegenden Ziels ist? Heute verstehe ich es entweder noch nicht, oder wir sind von einer konkreten künstlerischen Umsetzung so weit entfernt wie der Mars von der Erde.