Kunst, Freiheit und die Faszination des Melodrams

veröffentlicht am
Martedì
6 febbraio 2024

Untitled design (3)
Untitled design (3)

 Künstlerische Freigeister: Träumen, Kreieren

Wer sein Leben der Kunst hingibt, tut dies mit vollstem Bewusstsein. Es ist das Bewusstsein für das Schöne, aber auch für die etwaige Schwere, die ein solches Dasein mit sich bringt. Seit jeher ist es ein Balancieren zwischen Armut und persönlicher Erfüllung, zwischen der Bitterkeit der Realität und dem immerwährenden Wunsch nach Tiefe.

 

Der französische Begriff Bohème stammt aus dem 17. Jahrhundert und bezeichnet die Lebensweise von Personen mit künstlerischen Ambitionen – schriftstellerischer, intellektueller, bildkünstlerischer oder musikalischer Art. Der geläufige Stereotyp eines Bohèmiens zeichnet einen an Armut leidenden, jedoch äußerst idealistischen, jungen Künstler, der zumeist Gesellschaft und Materialismus verachtet. Häufig handelte es sich um bürgerliche Jugendliche, die den einschränkenden Normen und Gepflogenheiten ihres Elternhauses und ihrer Gesellschaftsstellung entfliehen und dem Wunsch nach Individualität, Selbstverwirklichung und Echtheit nachkommen wollten.

 

„Wer von uns hat sich in jungen Jahren nicht wie ein Bohèmien gefühlt? Das hat sehr viel mit einem Gefühl in sich zu tun.“
(Matthias Lošek, künstlerischer Leiter des Opernprogramms und Regisseur von „La Bohème“)

 

„Ich mache nicht mit in dieser Welt“

Bohèmiens üben seit jeher eine Faszination auf ihr Umfeld aus – und sie polarisieren. Die Entscheidung für ein Leben außerhalb jeglichen gesellschaftlichen Systems mit all seinen Konsequenzen, beschreibt Henri Murger in seinem Roman „Scenes de la vie de bohème“ (1851), der Puccini als Vorlage für seine Oper diente.

„Ein Künstlerdasein und damit sehr oft ein Leben in Armut, kann sehr wohl eine Aussage des Widerstands sein“, weiß Donata Romizi, Dozentin für Philosophie an der Universität Wien. „Künstler:innen hatten es noch nie einfach, auch heute nicht.“ Ein der Kunst gewidmetes Leben gleicht einem Glücksspiel, bei dem man nie genau weiß, was einen erwartet. Nicht zu wissen, was der Morgen bringt, ist eine Mischung aus Reiz und Furcht vor dem Unbekannten. Eine süße Qual, die beflügelnd wirkt auf die Kreativität und den Schaffensprozess. Und mit Gewissheit ist es eine Art persönliches Melodram, dem sich Bohèmiens gerne hingeben.

 

Per se übt das Melodram schon seit jeher eine Faszination aus – und wenn es nur in Geschichten ist. Kein Wunder, dass Dramen über die vorhersehbare Tragik die Menschen schon immer in ihren Bann ziehen: die unglückliche Liebe, der unvermeidbare Tod, das zerbrechliche Glück. All das erweckt in den Menschen romantisch-naive Hoffnungen, die am Ende zerschlagen werden und ein Gefühl der tiefen Berührung hinterlassen.

 

Begrifflichkeit und individueller Stellenwert der Kunst

Kaum ein Begriff wird so individuell interpretiert, wie jener der Kunst. Was kennzeichnet Kunstschaffende, was die Kunst selbst? Ist man ein Künstler, wenn man sich als solcher definiert? Tatsache ist: Künstlerinnen sind immer auf der Suche. Sie kreieren, um sich neu auszuprobieren, sich auszudrücken. „Ich mache Kunst nicht für Geld, sondern um eine Message zu transportieren“, stellt Diego Tartarotti, Visual Artist aus Bozen, für sich fest. Vielleicht suchen Künstler wie er über ihr kreatives Schaffen auch nach persönlichem Glück und Selbstverwirklichung.

Sehr oft tun das zeitgenössische Kunstschaffende alleine – dabei bietet der Austausch mit anderen sehr viel Kreativität, Inspiration und ein Sich-gegenseitig-Beflügeln – so wie es auch die Bohèmiens aus vergangenen Zeiten getan haben. Ist heute jeder zum Einzelgänger geworden? Der künstlerische Leiter des Südtirol Jazzfestivals Alto Adige und Musiker Roberto Tubaro sagt: „Uns geht es – hier in Südtirol beispielsweise – sehr gut, somit ist die Notwendigkeit, sich zu Kollektiven zusammenzuschließen, geringer geworden.“

 

Die Frage, welchen Stellenwert wir der Kunst in unserem persönlichen Leben einräumen, muss wohl jeder für sich beantworten. Jeder Mensch ist auf der Suche nach etwas Neuem, nach Tiefgründigkeit, nach Widerständigkeit, nach Dialog – der eine mehr, der andere weniger. Die Kunst ermöglicht uns jedenfalls all diese Dinge und schafft es dabei immer, verschiedene Menschen aus völlig unterschiedlichen Lebenssituationen durch das gemeinsame Interesse an ihr zu vereinen.

 

 

Sarah Meraner