Polyphone Kreativität

veröffentlicht am
Lunedì
13 maggio 2024

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Eine neue Reise des Sehens und Zuhörens

Das neue Konzert- und Opernsaison der Stiftung Haydn steht bereits in den Startlöchern. Was macht die bevorstehende Saison für das Publikum besonders interessant?

Ziel dieses Programms war ein Plus an Pluralität, wofür wir viele herkömmliche Pfade verlassen und mit Konventionen gebrochen haben. Ein Schlüsselwort, das uns dabei geleitet hat, war „Verbindungen“. So haben wir unzählige neue Verbindungen geknüpft, einerseits inhaltlich, zwischen Komponisten, Bildsprachen, Musikstilen aber auch nach außen, durch eine Ausweitung und Diversifizierung der Orchestertätigkeit auf neue Schauplätze und Orte.

Die größte Veränderung in diesem Jahr ist sicherlich die Zusammenlegung der Konzert- und Operntätigkeit zu einem gemeinsamen Spielplan. Mit diesem Schritt möchten wir unserem Publikum eine klare Botschaft schicken: Unser Programm ist bunt, vielstimmig und am Puls der Zeit; eine Polyphonie der Kreativität, in der jeder und jede Einzelne einen persönlichen Klangraum finden kann.

Gibt es einen roten Faden, der sich durch die neue Saison zieht?

Die Mottos, mit denen wir unser Programm betiteln, dienen uns als inhaltliche Wegweiser und als Referenzpunkte bei der Umsetzung unserer künstlerischen Vision. Im vergangenen Jahr haben wir uns zu diesem Zweck einige franziskanische Ideen geliehen, nach denen wir uns bis 2026 orientieren wollen. Die Gedankenwelt Franz von Assisis dreht sich ja nicht nur um den Glauben, sondern ist Teil einer viel größeren, zeitlosen Weltanschauung. Was mir dabei in den Sinn kommt, sind Begriffe wie Leidenschaft, im Sinne der Fähigkeit, Freude zu empfinden, oder das Staunen über all die Dinge, die wir fühlen, sehen oder hören. Auch Vertrauen und Offenheit haben damit zu tun. Wir von der Stiftung Haydn fühlen uns diesen Werten, dieser kulturellen und spirituellen Geisteshaltung, besonders verbunden, weil wir davon überzeugt sind, dass ein Musizieren ohne sie nicht möglich wäre. In diesem Jahr begleiten uns zusätzlich einige Gedanken, Sätze und Kurzdialoge aus Leo Tolstois Krieg und Frieden. Wir haben diesen Text ausgewählt, weil er uns die Gelegenheit bietet, eine weitere Verbindung zu knüpfen, zu einer Epoche, die voller Emotionen und überraschender, kraftvoller Gegensätze steckt. Dieselben Kontraste prägen auch unsere heutige Zeit und beeinflussen, wenn auch in einem anderen Maßstab, unser künstlerisches Schaffen.

Ihre Amtszeit als musikalischer Leiter ist auch dadurch gekennzeichnet, dass Sie immer wieder neue Hörformate entwerfen. Welches Publikum wollen Sie damit konkret ansprechen?

Meiner Meinung nach ist das Konzept des abendlichen Konzerts im Rahmen einer Theatersaison, wie wir es bisher kannten und praktizierten, überholt. Aus diesem Grund haben wir versucht, andere, auch kürzere Konzerte anzubieten. Damit wollen wir uns den jungen Leuten annähern, die ganz andere Hörgewohnheiten mitbringen. Was mir auch gefallen würde, wären weniger konventionelle, klassische Veranstaltungsorte für unsere Musik. Schließlich wollen wir das Publikum neugierig machen, Fragen aufwerfen, etwa so, wie wir es mit den Ouverture barbare gemacht haben. Aber um zu den Konzepten der Offenheit und des Staunens über all die Dinge, die uns heute zu Ohren kommen, zurückzukehren: Mein Ziel ist, dass Heterogenität ein Teil unserer DNA als Orchester wird, daher möchte ich mehr Raum für Diversität schaffen und Kontraste schärfen. In diesem Sinne lautet mein Appell an alle Konzert- und Opernbesucher:innen, die uns seit langer Zeit die Treue halten, aber auch an alle anderen: Haben Sie Vertrauen in unser Programm, seien Sie offen und wagen Sie sich stets ein Stück hinaus aus der Komfortzone des klassischen Hörens. Es lohnt sich!

Beim Durchblättern des Programms stößt man auf viele namhafte Dirigenten unterschiedlichster Ausrichtung …

Richtig. Wir haben Dirigentinnen und Dirigenten mit einer starken Persönlichkeit ausgewählt, und mit allen haben wir konkrete Projekte ausgearbeitet. Um nur einige Beispiele zu nennen: Ottavio Dantone, unser musikalischer Leiter, ist ein Musiker mit Barockschwerpunkt, der uns sofort für die vielen Möglichkeiten, die wir gemeinsamen haben, begeistern konnte. Er ist der perfekte Vermittler, weil er in der Lage ist, Verbindungen zwischen verschiedenen Musikepochen und Interpretationsweisen herzustellen, von der Klassik über die Romantik und das frühe 20. Jahrhundert bis hin zur zeitgenössischen Musik des 21. Jahrhunderts. Mit Thomas Dausgaard, einem der weltbesten Dirigenten, der ein überragendes Feingefühl besitzt, haben wir hingegen das Konzept der „Nord-Ost-Passage“ entwickelt. Gemeinsam haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, was eigentlich an den anderen Breitengraden – in Schweden, Norwegen oder Dänemark – los war, während in Mitteleuropa Ludwig van Beethoven, die Komponisten des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts mit ihren Kompositionen zu Weltruhm gelangten? Welches Repertoire entstand dort zur selben Zeit? Mit Michele Mariotti setzen wir einen Weg fort, der den Dialog zwischen französischen Komponisten und ihren Kollegen aus Mittel- und Osteuropa zum Ziel hat. Alessandro Bonato hingegen ist ein junger, vielversprechender Dirigent, den wir zu unserem neuen Gastdirigenten gemacht haben.
Das Allerwichtigste ist jedoch, meiner Meinung nach, Komponist:innen, Interpret:innen, Dirigent:innen oder Solist:innen zu präsentieren, die etwas zu sagen haben.

Maestro Battistelli, können Sie kurz umreißen, was uns in der neuen Spielzeit erwartet? Was dürfen wir auf keinen Fall verpassen?

Hier eine Auswahl zu treffen, fällt mir schwer, aber ich versuche es. Gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Ottavio Dantone streifen wir zuerst das Repertoire der Romantik, um von dort weiter in die Zeit der Barockmusik zu reisen: als Annäherung an den Stil und den Klang von Georg Friedrich Händels Oper Giulio Cesare, die im März auf dem Spielplan steht. Ein absolutes Highlight ist sicherlich ein Konzertabend, der sich ganz der französischen Musik widmet, mit der Pavane und dem Klavierkonzert in G-Dur von Maurice Ravel sowie der Sinfonie in C-Dur von George Bizet, unter der Leitung des herausragenden jungen Dirigenten Michele Spotti und mit der großen Beatrice Rana als Solistin. Ein fulminanter Auftakt wird das Eröffnungskonzert mit Benedetto Lupo am Klavier sein. Ebenso hochkarätig besetzt, mit der großartigen Anna Tifu an der Violine und Valentina Peleggi am Dirigentenpult, begeben wir uns weiter ins musikalische Russland des 19. und 20. Jahrhunderts. Auf dem Programm stehen zu diesem Anlass Tschaikowsky und Chatschaturjan, denen wir im darauffolgenden Konzert, dirigiert von Donato Renzetti, die 4. Sinfonie von Anton Bruckner und die tiefgründige Musiksprache von Silvia Colasanti in Cede pietati, dolor – Le anime di Medea gegenüberstellen. Ein absoluter Pflichttermin ist auch das Konzert unter der Leitung von Diego Ceretta, der nicht zum ersten Mal für das Haydn-Orchester den Taktstock schwingt. An diesem Abend wird er eine Komposition von Camille Pépin dirigieren, einer französischen Künstlerin, deren kraftvollen, kommunikativen Stil ich als neo-impressionistisch bezeichnen würde. Außerdem präsentieren wir drei wenig gespielte Raritäten von Ildebrando Pizzetti.

Es wird auch eine Hommage an Luciano Berio geben, der 2025 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

In diesem Konzert unter der Leitung von Yutaka Sado wird die Unvollendete von Schubert zu hören sein. Das Konzert beginnt jedoch mit dem Stück Wandering, einer neuen Komposition des Bozner Komponisten Marco Uvietta, die als Auftragswerk der Stiftung Haydn in Hommage an Luciano Berio entstanden ist. Zum Schluss präsentiert das Haydn-Orchester Berios Stück Rendering, das er Ende der 1990er-Jahre aufbauend auf der Struktur von Schuberts nie fertiggestellter 10. Sinfonie in D-Dur komponierte.

Außerdem können wir uns auf eine Wiederauflage des Projekts „Musik und Film“ freuen…

Ja, das stimmt! Das Haydn-Orchester wird zum allerersten Langfilm von Charlie Chaplin, The Kid, live die Filmmusik spielen. Dieses Projekt ist ein perfektes Beispiel für die neuen Verbindungen, die ich gerne schaffen möchte: Wir provozieren dadurch eine völlig neue Situation, eine noch nie dagewesene Erfahrung. Das Ziel ist nicht, besonders exzentrische Projekte aus dem Boden zu stampfen, sondern Erlebnisse zu ermöglichen, an die man sich immer erinnern wird.

Kommen wir jetzt zur Oper…

Am Ende des Puccini-Jahres eröffnen wir die Opernsaison mit Gianni Schicchi, flankiert von Pierrot Lunaire von Arnold Schönberg, der dieses Jahr seinen 150. Geburtstag gefeiert hätte. Ich finde es sehr spannend, zwei Komponisten nebeneinanderzustellen, die stilistisch so weit voneinander entfernt scheinen, um zu zeigen, dass sie im Klang ganz wunderbar miteinander harmonieren. Die nächste Oper auf dem Programm wird Rossinis Il barbiere di Siviglia sein, inszeniert von unserem Artist in Residence Fabio Cherstich. Die Stiftung Haydn möchte diesen Weg ins 20. Jahrhundert und in die zeitgenössische Musik Italiens und Europas weiter fortsetzen: etwa mit Bruno Madernas Oper Satyricon, einem mannigfaltigen Werk voller Ironie und Groteske. Ein Meilenstein des Musiktheaters im 20. Jahrhundert!
Der dramaturgische Bogen, den die Stiftung Haydn mit diesem Programm spannt, reicht also von Schönberg über Puccini und Rossini bis hin zu Maderna und Händel. Gemeinsam mit unserem Publikum begeben wir uns auf eine spannende Reise durch die Epochen der Musik.

Wo sehen Sie das Haydn-Orchester in der Zukunft?

Sich um ein Orchester zu kümmern, hat viel mit dem Pflegen einer Pflanze gemein: Man muss sie regelmäßig mit neuen Nährstoffen versorgen und gleichzeitig ihre Wurzeln schützen, damit sichergestellt ist, dass sie immer kräftiger wachsen kann. Ich wünsche mir, dass das Orchester neue Wege beschreitet, die wegführen von jeder Form der musealen Starrheit. Ich wünsche dem Orchester Beweglichkeit, eine fließende, stilistische Leichtigkeit, die auf jede Neuigkeit mit Bravour reagieren und auf höchstem Niveau einen Bogen von Georg Friedrich Händel bis Georg Friedrich Haas spannen kann. Ich wünsche mir ein modernes Orchester, das eine starke Bindung zu seinem Publikum pflegt. Ein Orchester, das sich hinaus in die Welt orientiert, zum Kino, zum Theater und zu den Menschen auf den Straßen und Plätzen. Den einzelnen Musikerinnen und Musikern wünsche ich, dass sie weiterhin mit so großer Leidenschaft musizieren, damit sie zukünftigen Herausforderungen beherzt und meisterlich begegnen können.