Satyricon – Opernchaos mit Tiefgang

veröffentlicht am
Mercoledì
29 gennaio 2025

Manu Lalli
Manu Lalli

Regisseurin Manu Lalli erzählt

Bruno Madernas Kammeroper Satyricon ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich – sei es in ihrer Form, Komposition, textlichen fragmentarischen Vorlage oder ihren Deutungsmöglichkeiten. Wir haben die auf heimischen und internationalen Bühnen tätige Regisseurin Manu Lalli gefragt, wie Sie an dieses wenig bekannte Werk herangegangen ist.

Ein einzigartiges Chaos

Wir haben es hier mit einem unglaublich komplexen Werk zu tun, das einzigartig chaotisch, geradezu willkürlich beliebig ist und gebändigt werden will. Man muss sich zunächst in diesem Stück zurechtfinden und mit dieser Art von künstlerischer Freiheit umgehen wollen – einer Freiheit, die der Komponist Maderna uns schenkt, die ich in meiner Regie-Laufbahn bislang noch nicht erlebt habe. Sie ermöglicht uns einen enormen Interpretationsspielraum und beschenkt uns mit dem Gefühl an dem kreativen Entstehungsprozess eines Kunstwerks beteiligt zu sein. Gemeinsam mit Tonino Battista haben wir uns durch das textliche Fragment gearbeitet, einen für uns schlüssigen, roten Faden gefunden und „unser“ Satyricon neu gebaut. Immer aber im Sinne des Komponisten.

Die Macht des Geldes

Dieses Werk hat mich von Anfang an fasziniert, und mir war klar, dass sich der rote Faden an der Auflösung eines Imperiums entspinnt; das Bild einer Gesellschaft, die vor dem Verlust ihrer Werte steht, von Geldgier getrieben wird, schamlos und menschenverachtend agiert, ist schon in der Vorlage gezeichnet, spiegelt sich zu Madernas Zeit wider und ist auch heute allgegenwärtig. Das Geld bestimmt die Moral, die Macht des Geldes, den Verlauf der Geschichte, die Wiederholung der Geschichte, die Oper. Davon erzählen Musik und Text in Satyricon. Jede:r singt für sich allein – die Menschen sprechen nicht mehr miteinander. Es wird viel geredet, aber nichts gesagt. Das Aufeinander-Zu- und Eingehen ist verschwunden. Dieses Bild und dieses Gefühl versuche ich auf die Bühne zu bringen, denn das entspricht doch sehr unserer Zeit.

Die Hauptfigur in diesem Werk, Trimalchio, ist für mich wie ein Sinnbild dieser gesellschaftlichen Dekadenz – ein Mensch, der aus dem Vollen schöpft, sich maßlos in Ruhm und Luxus badet und selbst angesichts des Todes nicht um den Verlust seiner Freunde und des Zwischenmenschlichen bangt, sondern einzig und allein um seinen Reichtum. Und auch das ist sehr aktuell – es erinnert mich an viele Menschen, letztlich an uns alle.

Die Welt vor dem Abgrund

Deshalb soll diese Geschichte von vielen und für viele Menschen erzählt werden – sie soll nachvollziehbar sein. Wir haben fantastische Darsteller:innen in Satyricon. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Lebensrealitäten und gesellschaftlichen Umfeldern und verkörpern in dieser Produktion eine Art antiken griechischen Chor – sie sind also, am Abgrund stehend, zugleich Sehende, Beteiligte und Akteure. Ich arbeite in Bozen mit meiner Compagnia Venti Lucenti, einem Bildungs- und theaterpädagogischen Projekt, und der Stiftung Haydn zusammen. Wir haben im Vorfeld sehr lange mit den Jugendlichen, die hier auf der Bühne stehen über den Stoff diskutiert! Es war erstaunlich wie sehr sie sich mit ihren eigenen Erfahrungen und Lebensanschauungen eingebracht haben. Die Kluft zwischen Arm und Reich, die Tatsache, dass es auf der einen Seite unbeschreiblichen Luxus und auf der anderen Seite prekärste soziale Verhältnisse gibt, beschäftigt die Jugendlichen von heute sehr.

Die Zeit des Umbruchs

„Wir sind nun einmal wieder an einem Wendepunkt angelangt, denke ich, einer Zeit des Umbruchs. Und diese Zeiten – wenn sie auch, wie viele große Schriftsteller schreiben, spannende Zeiten sind, die man mitzuerleben hat, wenn man denn auf der ‚richtigen‘ Seite des Globus steht – werfen ihre Schatten voraus. Absurdität und Zügellosigkeit breiten sich aus. Werte und moralische Grenzen fallen, Menschen werden haltlos, brechen sämtliche Tabus. Natürlich ist es schwer, die ganze Menschheitsgeschichte auf die Bühne zu bringen; deshalb habe ich drei Zeitenwenden für diese Inszenierung ausgewählt. Kostüme und Requisiten spielen auf das Ende des römischen Reiches, das Ende der französischen Monarchie und auf unsere Jetzt-Zeit an. Diese drei Epochen stehen für mich für jene Gedanken, die der Dichter Petronius, der Komponist Bruno Maderna und nun auch wir zum Ausdruck bringen: Gedanken über die Unsinnigkeit des Seins und über eine Welt, die aus den Fugen geraten ist.

Und da zeigt sich wieder einmal, was Kunst vermag: Bei aller Ernsthaftigkeit und Schwere des Themas ist Satyricon an Originalität und Unterhaltungswert kaum zu überbieten. Ich kann nur jedem diese so selten gezeigte Oper ans Herz legen!“

Untitled (1550 x 700 px)
Untitled (1550 x 700 px)
Play

Die Schüler des Kurses „Assistente Tecnica e Tecnico della Spettacolo - Backstage“ der Berufsschule „L. Einaudi“ mit Manu Lalli

Verwandte Einträge