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veröffentlicht am
Giovedì
23 febbraio 2023

Peter Pan2_© Francesco Bondi
Peter Pan2_© Francesco Bondi
Peter Pan1_© Francesco Bondi
Peter Pan1_© Francesco Bondi

Peter Pan – The Dark Side am 25. und 26. März im Stadttheater Bozen ist die mit großer Spannung erwartete neue Produktion der Haydn-Stiftung: eine zeitgenössische Interpretation eines Klassikers der Kinderliteratur, die die ursprüngliche Intention des Autors James M. Barrie ans Licht bringt und bewahrt, dabei aber das Publikum in ein düsteres Universum führt. Wir erleben Anklänge an die Popkultur, digitale Artworks, das Gaming und die Atmosphäre von modernen Kultserien wie Euphoria und This is England.

Wir durften den international renommierten Librettisten David Pountney kennenlernen, der zusammen mit der Regisseurin Daisy Evans und dem Komponisten Wolfgang Mitterer eine Oper geschaffen hat, die das Publikum verblüffen und tief bewegen wird.

Sie sind einer der erfahrensten Regisseure, Produzenten und Librettisten der heutigen Musikwelt: Für Ihre Neuproduktionen klassischer und wenig aufgeführter Opern sind Sie international bekannt… wie entsteht eine neue Oper?

Eine Oper ist ein so umfangreiches und anspruchsvolles Werk, dass sie nur selten ohne einen vorausgegangenen Auftrag realisiert wird. So trifft, wie in diesem Fall, ein Theater die erste Entscheidung und fragt bei einem bestimmten Komponisten eine Oper an. In der Regel wird zuerst der Komponist ausgewählt, er ist das wichtigste Element. Da der Komponist wahrscheinlich zwei Jahre lang mit diesem Projekt zu tun haben und leben wird, denn das Schreiben von Musik ist ein sehr langsamer Prozess, ist es wichtig, dass er sich mit dem Thema und der Art und Weise, wie ein Libretto entwickelt wird, wohl fühlt. Zunächst wird also das Thema entschieden, dann die Struktur und der Stil. Die Oper ist ein sehr breit gefächertes Genre und kann alle Arten von Stilen und dramaturgischen Strukturen umfassen; sie kann sehr umfangreich oder auch klein gehalten sein, so dass viele wichtige Entscheidungen bereits in einer frühen Phase des Projekts getroffen werden müssen.

David_Pountney_by_Emli_Bendixen
David_Pountney_by_Emli_Bendixen

Welche Zutaten sollte ein gutes Libretto haben?

Die Kürze ist ein wesentliches Merkmal, zum einen, weil die Musik im Allgemeinen viermal länger braucht als die Rede, um den Text zu übermitteln. Zum anderen aber auch, weil das Libretto Raum für die Musik schaffen muss. Verdi sprach von einer “Parola scenica”, d.h. einem knappen und konzentrierten Text mit unmittelbarer dramatischer Wirkung. Ein gutes Libretto führt zu Aktion und Emotion, ohne sich mit zu vielen Erklärungen aufzuhalten.

Warum Peter Pan? Wie kam es, dass Sie gerade an diesem Projekt gearbeitet haben?

Das Thema Peter Pan wurde von Matthias Lošek ausgewählt, der eine “düstere” Version dieser klassischen Geschichte suchte. Wie die meisten Märchen können wir es als unschuldige Fantasiegeschichte lesen, aber alle Märchen verkörpern, wie auch die Mythen, tiefe menschliche Wahrheiten und können daher anhand eines viel dunkleren oder sogar eines psychologischen Registers interpretiert werden. Ich muss sagen, dass es mir ausgesprochen gut gefallen hat, die dunkle Seite der Geschichte Peter Pans zu erkunden.

Gibt es etwas besonderes, das Sie mit dieser Geschichte verbinden?

Seit der Geburt meiner Kinder haben mich Geschichten über Kindesmissbrauch und -ausbeutung immer bewegt und beunruhigt. Ich erinnere mich, dass ich in den 1980er-Jahren, als ich an einer Inszenierung von Hänsel und Gretel an der ENO arbeitete, beeindruckt war von dem schrecklichen Fund einiger Kinderleichen, die in einem Londoner Garten begraben waren. Sie erinnern sich vielleicht an den Schluss von Hänsel und Gretel, als die getöteten Kinder wieder zum Leben erwachen: In dieser Inszenierung sind sie im Sinne einer Auferstehung aus dem Erdboden empor gestiegen… genau wie die Geister der ermordeten Kinder im wirklichen Leben, die aus dem Garten, in dem sie begraben wurden, auferstanden sein könnten. Wenn ich also mit einer Geschichte konfrontiert werde, in der Kinder überredet werden, aus dem Fenster zu springen und zu glauben, dass sie fliegen können, läuten in meinem Kopf die Alarmglocken… Ich möchte wissen, was mit diesen Kindern wirklich passiert. Sind sie in sicheren Händen oder laufen sie Gefahr, ausgebeutet und geschädigt zu werden? Dies war mein Ausgangspunkt für Peter Pan.

Inwiefern gibt die Produktion Antwort auf aktuelle Bedürfnisse und Fragen der heutigen Zeit?

Gerade durch Fragen wie “Sind die Kinder sicher?”, “Sind die Erwachsenen, die sich um sie kümmern, vertrauenswürdige und zuverlässige Personen?”.
Wir haben so viele Fälle von Institutionen erlebt, die Kinder schützen sollen und sie stattdessen misshandeln und ausnutzen, wie zum Beispiel die katholische Kirche. Es handelt sich also um ein sehr aktuelles Thema.

Wie verlief der kreative Prozess zwischen Ihnen und dem Komponisten der Oper?

Wolfgang Mitterer schien sich von Beginn an sehr mit meinen Ideen anzufreunden, es war daher ein wirklich kooperativer und harmonischer Prozess. Natürlich bin ich sehr neugierig darauf, was er tatsächlich komponiert hat!

Mit Ihrer Arbeit haben Sie oft die Wahrnehmung der Menschen von der Oper an sich verändert. Wird dies auch bei diesem Projekt der Fall sein?

Ich habe immer geglaubt, dass das Erzählen von Geschichten auf der Bühne durch Musik eine sehr tiefgründige Art der Kommunikation mit dem Publikum ist. Die Oper ist etwas Kraftvolles und Unverfälschtes, das unserem wirklichen Gefühlsleben viel näher ist als eine “bequemere” Aufführung.

Was bewegt Sie an der heutigen Form der Oper? Welche Zukunft schreiben Sie ihr zu?

Die Zukunft der Oper liegt, wie immer, in den Händen von Menschen, die den Wunsch haben, mittels der Musik Geschichten zu erzählen. Ich sehe heute eine große Energie und Kreativität in dieser Welt. Ständig treffe ich Menschen, die die Möglichkeiten dieser Kunstform erproben. Nicht alle diese Prozesse finden unter dem Dach etablierter Opernhäuser statt, und auch das ist ein positiver und befreiender Aspekt: Die Oper selbst trägt in sich etwas Bedeutsameres und oft auch Ergiebigeres und Gewagteres als die Institutionen.

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